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Historische Leseübung in Pirmasens
von Oliver Siebisch • Titelfoto: Oliver SiebischFür den Unkundigen können es zunächst verwirrende Zeichen sein, welche die Volkskundlerin Barbara Schuttpelz am Samstagmorgen vor dem Pirmasenser Carolinensaal auf einem Blatt lächelnd präsentiert. Diese Verwirrung in Klarheit zu verwandeln, mag jedoch ein Dutzend Menschen mehrerer Altersgruppen motiviert haben, sich wenig später zum „Sütterlinkurs für Anfänger“ an zwei Tischreihen zu setzen. Thema des anderthalbstündigen Lehrgangs, der von der Volkskundlerin geleitet wird, ist das generelle Entziffern alter deutscher Handschriften. Sie befanden sich noch bis vor rund 80 Jahren im deutschsprachigen Raum in Gebrauch, so dass sich ein großer Teil des handschriftlichen historischen Erbes nur über Kenntnisse dieser Schrift erschließen lässt.
Der Kurs wurde im Zusammenhang mit der aktuellen Ausstellung alter Stammbücher und Freundschaftsalben im Stadtmuseum anberaumt und vom Stadtarchiv organisiert. So sprach denn auch der Archivmitarbeiter Peter Felber die einführenden Worte. Dann übernahm Barbara Schuttpelz. Auslöser des neuerwachten Interesses an alten Schriften, so sagt sie, sei häufig die Pandemie-Zeit gewesen. Da habe man auch mal auf dem Dachboden nachgesehen, angefangen aufzuräumen, sei nicht selten auf alte Briefe oder Bücher gestoßen und habe sich gedacht: „Sieht schön aus, aber was steht da eigentlich?“ Damit die Kursteilnehmer diese Frage zukünftig beantworten können, finden sie an ihren Plätzen zwei Alphabete und einige Entzifferungsübungen vor, die auch zwecks besserer Übersicht auf eine Leinwand projiziert werden.
Die deutsche Schreibschrift, von Laien meist als „Sütterlin“ bezeichnet, sei, so die Referentin, schon früh entstanden. Es handle sich aber meist um die sogenannte Kurrent- oder die besonders aufwendige, in offiziellen Schreibstuben verwandte Kanzleischrift, eine fortlaufende Handschrift mit ausgeprägter Rechtsneigung. Erst der Schriftreformer Ludwig Sütterlin habe, wie die Kursteilnehmer erfahren, die Buchstaben der deutschen Schreibschrift in seinem 1915 an den preußischen Schulen eingeführten Alphabet neu ausgerichtet: Ohne Neigung, rein aufrecht.
Schuttpelz gibt den Teilnehmern wertvolle Tipps zum Entziffern dieser Schriften. Bei der Quelle möge man sich erst einmal vergewissern, aus welchem Kontext sie stammt. Ein Rezept werde ein anderes Vokabular aufweisen als ein Kirchenbuch, so dass man sich gedanklich darauf vorbereiten kann. Auch sei es hilfreich, sich bei Schwierigkeiten nicht an einem Wort aufzuhalten, sondern erst einmal fortzufahren und „Abgleiche“ vorzunehmen, sich an bereits entzifferten Buchstaben zu orientieren. „Auf einmal“, so erklärt sie, „fällt es Ihnen wie Schuppen von den Augen, Sie können es einfach so erkennen.“ Es sei eben eine „permanente Beschäftigung“ sinnvoll.
Teils heitere, teils ernste Leseübungen, die mithilfe der Alphabete zunächst von den Teilnehmern in mehrminütiger Stillarbeit zu übertragen waren, werden dann gemeinsam erschlossen – meist erfolgreich. Ein Zweibrücker „Appellationsrath“, weiß man nun, habe im 19. Jahrhundert unter anderem „12 Servelatwürste“ zu sechs Kreuzern erhalten. Dies scheint schon ein Hinweis auf das wahrscheinlich bevorstehende Mittagessen der Kursteilnehmer zu sein.
Abschließend weist Barbara Schuttpelz auf die Möglichkeit hin, durch einen Kurs am Institut für Pfälzische Geschichte und Volkskunde in Kaiserslautern, an dem sie tätig ist, die gerade erworbenen ersten Kenntnisse zu vertiefen. Es erfolge dann ein „Durchgang“ vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Noch etliche Minuten nach Ende der Veranstaltung befanden sich manche Kursteilnehmer im angeregten Gespräch mit der Referentin und dem Archivmitarbeiter Felber: Ein eigenartiger Reiz scheint also vom Entziffern alter Schriften auszustrahlen.