Beitrag
Stadtratssitzung Pirmasens 1959 (Quelle: Stadtarchiv Pirmasens)

Rattenfänger, Verleumdung und das Wohl der Heimatstadt

von Oliver Siebisch • Titelfoto: Stadtarchiv Pirmasens

So wild war die Pirmasenser Stadtratswahl 1956

Der Wahlkampf in der Siebenhügelstadt gestaltete sich im Vorfeld der Stadtratswahl 1956 hart. Die SPD vor Ort legte dafür die Messlatte schon früh recht hoch und sprach in einer Zeitungsannonce im Hinblick auf die „angeblich parteilose Wählergruppe“ von „Rattenfängern“. Doch worauf wurde damit abgezielt?

Früher Schlagabtausch

Gemeint war die „Wählergruppe Hoffmann“, die sich um einen 56-jährigen „Bau-Ingenieur“ geschart hatte und schon 1952 in den Stadtrat eingezogen war. Nach Selbstauskunft bemühte sie sich darum, „alle Probleme der Stadt nur nach sachlichen Gesichtspunkten und frei von parteipolitischen Dogmen“ zu behandeln. Doch die Genossen sahen das anders. Und sie waren sich – das Wahlergebnis suggestiv vorwegnehmend – sicher, dass die Pirmasenser diesmal „wachsam“ sein und ihre „Partei des Aufbaues und Vertrauens“ wählen werden.

Zeitungsannonce der SPD

Um das wirklich geschehen zu lassen, beraumte „der Ortsverein der SPD“ eine Wahlversammlung im Gewerkschaftshaus an.[1] Dabei wandte sich auch der seit 1945 amtierende Oberbürgermeister Jakob Schunk ans Publikum. Erneut gab es eine Breitseite gegen die „Wählergruppe“, denn der OB zeigte sich, wie die Pirmasenser Zeitung berichtet, davon überzeugt, dass „die Arbeit im Stadtrat politische Arbeit“ sei und nicht solchen „Männern“ überlassen werden dürfe, „die ohne Grundsätze und klare Ziele als Ratsmitglieder fungieren.“ Stolz blickte er auf die vergangenen elf Jahre zurück und wies auf die Aufbauleistung hin, die zuvorderst beim in der Nachkriegszeit raren Wohnraum, dann jedoch auch bei den Schulen, den Stadtwerken und den Verkehrsbetrieben erfolgt sei. Schunk fand in seiner Rede eine beinahe pathetische Formel: „Pirmasens“, so sagte er, „muss weiterleben.“

Wahlwerbung der Freien Liste

Auch die CDU kommt auf Touren

Wenig später stellte die Union in einer Anzeigenserie den Pirmasensern ihre Kandidaten für den Stadtrat vor. Diese positionierten sich mit klaren Aussagen. Unter einem Foto des Handelsvertreters Hermann Kröner etwa heißt es, dass er sich „für die wirtschaftlich Schwächeren auf der Basis des sozialen Ausgleichs“ sowie „für eine Zusammenarbeit der beiden christlichen Konfessionen“ einsetze. Mit Richard Dippold indes konnte man nicht allein einen „Helfer in Steuersachen“ und 1. Beigeordneten aufbieten, sondern ebenso einen „der ältesten und mit über 500 Spielen in der 1. Mannschaft des FKP populärsten Sportler“ der Stadt. Ihren Wahlkampf bestritt die CDU darüber hinaus mit griffigen Parolen und forderte „Nie wieder SPD-Mietskasernen“. Fortan sollten vielmehr „familiengerechte Wohnungen und Eigenheime“ entstehen. Auch auf die gleichzeitigen Geschehnisse in Ungarn wurde die Kampagne abgestellt. „Mit ihrer unverantwortlichen Hetze gegen die deutsche Außenpolitik“, so ist zu lesen, „versucht die SPD unsere Bündnisse in der freien Welt zu untergraben.“ Dem Wähler wurde infolgedessen eines nahegelegt: „Daher auch in der Kommunalwahl CDU, Liste 1“ mit dem ergänzenden, griffigen Slogan „Deine Nöte – unsere Sorgen, mit Liste 1 bist Du geborgen!“

Anzeige der CDU

Heißer Endspurt

Obgleich in der Vergangenheit im Stadtrat „90 Prozent aller Beschlüsse zum Wohle der Stadt einstimmig gefaßt werden konnten“, herrschte in der Schlussphase des Wahlkampfs eine große Spannung zwischen den Parteien. Sie war geprägt von starken Schuldzuweisungen. Darüber konnte auch nicht die Versicherung hinwegtäuschen, dass man es ablehne, „durch haßerfülltes Geplänkel und durch unanständige Mittel“ den Wählern „zu gefallen“. Dem OB Jakob Schunk und somit der SPD versuchte die „Mehrheitsfraktion“ durch Anstrengen eines Disziplinarverfahrens wegen der nicht ordnungsgemäßen „Eingemeindung der Ruhbank“ einen entscheidenden Stoß zu versetzen. In stadtväterlichem Ton wies Schunk die Vorwürfe zurück und versicherte den Pirmasensern, dass er ihre Interessen so gewahrt habe, „als ob sie sie selbst vertreten hätten.“ Schließlich mahnte er zur Sachlichkeit. Wurde diese Hoffmanns „Wählergruppe“ auch zuteil, wenn ein Leserbriefschreiber befand, dass ihr „zum allergrößten Teil Leute“ angehörten, „die ab 1933 und ab 1948 sehr viel Geld verdient haben“?

Der Wahltag und sein Ergebnis

Am 11. November 1956 war das Wähleraufkommen zunächst spärlich, doch „gegen 16 Uhr standen in den meisten Wahllokalen die Bürger ‚Schlange‘“. Ins Auge stach gerade „die hohe Beteiligung der Frauen und der alten Leute“. Eine betagte Bürgerin wurde sogar „auf einem Stuhl in die Wahlzelle“ getragen. „Sowas“, jubelte die Presse, „ist echter Idealismus. Daran sollte sich die Jugend ein Beispiel nehmen!“

OB Jakob Schunk (links) während einer Stadtratssitzung im Jahr 1956. Bildquelle: Stadtarchiv Pirmasens

Die Telefondrähte glühten ab sieben Uhr angesichts der eingehenden Mitteilungen aus den Wahlbezirken mächtig. Das Votum der Wähler war am Ende eindeutig. Die SPD erlangte mit 53,2 Prozent der Stimmen 20 Sitze und somit eine absolute Mehrheit im Stadtrat. Die CDU konnte zehn Männer entsenden. Immerhin sieben Vertreter der „Wählergruppe“ wurden ebenfalls gewählt. So also setzte sich der neue Stadtrat zusammen, auf dessen Mehrheit sich der einstige Facharbeiter in der Schuhindustrie, OB Jakob Schunk, für die kommenden vier Jahre vollauf stützen konnte.


[1] Sämtliche Pressezitate stammen aus Ausgaben der Pirmasenser Zeitung des Jahres 1956, die im Stadtarchiv Pirmasens eingesehen wurden.