Beitrag
IMG_1408 2

Fotograf, Kaffeeröster und Sprengstoffhändler

von Oliver Siebisch • Titelfoto: Christian Lüdecke

Ein Rückblick auf den Pirmasenser Hermann Lüdecke

Wenn man in Pirmasens die Bahnhofstraße entlangwandelt, wird man irgendwann auf ein Haus treffen, an dem über den beiden Ladenlokalen im Erdgeschoss in großen Buchstaben der Name Lüdecke prangt. Wahrscheinlich wird nur den älteren Stadtbewohnern die Bedeutung dieses Schriftzuges noch in Erinnerung sein: Hier befand sich einst das Fotografiegeschäft von Hermann Lüdecke.

Hermann Lüdecke als Jugendlicher
Hermann Lüdecke in jungen Jahren. Bildrechte: Christian Lüdecke

Dieser war von den 1920er-Jahren bis in die 1960er-Jahre Dokumentarist der Stadtgeschichte, als Fotograf wie auch als Schmalfilmer. Als Schmalfilm bezeichnet man alles Filmmaterial, das eine geringere Breite aufweist als der Normalfilm mit 35 mm und häufig von Hobbyfilmern verwendet wurde. Die von Lüdecke gedrehten Filme kaufte die Stadt Pirmasens nach seinem Tod an. Inzwischen liegen sie im Stadtarchiv in digitalisierter Form auf mehreren Bildtonträgern vor. Kleine Ausschnitte können im Stadtmuseum betrachtet werden.

Hermann Lüdecke im Ersten Weltkrieg
Lüdecke (links) als Soldat im Ersten Weltkrieg. Bildrechte: Christian Lüdecke

Wie aber gestaltete sich Hermann Lüdeckes Leben, wie sah er überhaupt aus? Hierzu entwickelt freundlicherweise sein von uns kontaktierter Enkel Christian Lüdecke bei einem Treffen in einem Pirmasenser Café detailreich die Biografie, bringt auch gleich etliche historische Aufnahmen mit. Dabei entschuldigt er sich lächelnd für die auf diesen zu erblickenden, nicht immer heiteren Gesichtszüge des Großvaters.

Hermann Lüdecke in den 1920er Jahren
Der Großvater war ein Freund eleganter Ledermäntel, erinnert sich der Enkel. Bildrechte: Christian Lüdecke

Dieser wurde 1896 geboren. Das Geschäft in der Bahnhofstraße übernahm Hermann Lüdecke von seinen Eltern. Im Jahr 1932 kaufte er das ebenfalls in der Bahnhofstraße gelegene Haus Nr. 16 und baute es intensiv um. Dort befanden sich ein Fotolabor, ein Spirituosensortiment und eine Kaffeeröstmaschine, die auch in schwieriger Zeit für die Familie Bohnenkaffee garantierte.

Ladenlokal Lüdecke, Schauseite bis 1929
Das von den Eltern übernommene Geschäft. Bildrechte: Christian Lüdecke
Ladenlokal Lüdecke, Innenraum
Das Innere des Ladenlokals. Bildrechte: Christian Lüdecke

Später kam dann ein florierender Sprengstoffhandel dazu, den er bis an sein Lebensende intensiv betrieb. Beinahe täglich fuhr er Sprengstoff zu Kanalisationsarbeiten unter Pirmasens, zu Bauunternehmen und Forstbetrieben.

Werbebroschüre Lüdecke
Werbung des “Hauses” Lüdecke. Sammlung Christian Lüdecke

Als einen Glanzpunkt der mit Leidenschaft betriebenen Filmarbeiten Hermann Lüdeckes bezeichnet sein Enkel das von ihm angefertigte Bewegtbild vom Wiederaufsetzen des Turmkreuzes auf der Lutherkirche mithilfe eines amerikanischen Hubschraubers – ein bedeutendes Dokument des Wiederaufbaus in der Stadt nach dem Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges.

Hermann Lüdecke, Dokumentaraufnahme 1932
Wahlen zum bayerischen Landtag im Jahr 1932. Dokumentar-Aufnahme von Hermann Lüdecke. Bildrechte: Christian Lüdecke

Dessen tiefere Ursachen hatte Lüdecke zuvor gleichfalls in Foto und Film festgehalten: Die Zeit des Nationalsozialismus in Pirmasens mit Aufmärschen, Kundgebungen und zahlreichen Hakenkreuzflaggen. Dabei habe er, so die Familienüberlieferung, stets inmitten des Geschehens auf einer Leiter oder einem Podest gestanden, um den für seine Arbeiten bestmöglichen Platz einzunehmen.

Das "Braune Haus" in Pirmasens, fotografiert von Hermann Lüdecke
Der Nationalsozialismus ist auch in Pirmasens präsent. Dokumentar-Aufnahme des “Braunen Hauses” von Hermann Lüdecke. Bildrechte: Christian Lüdecke

Christian Lüdecke berichtet auch, dass der Großvater NSDAP-Mitglied war. Dennoch habe er dem Regime keine große Sympathie entgegengebracht, im Gegensatz zu seiner schon im Geist der Diktatur heranwachsenden Tochter. Hermann Lüdeckes Fotos seien sodann nach dem Krieg von den Amerikanern benutzt worden, um besonders eifrige Pirmasenser Nationalsozialisten zu identifizieren, was innerhalb der an Aufklärung überwiegend nicht interessierten Einwohnerschaft zu negativen Gerüchten geführt habe.  

Ehepaar Hermann Lüdecke
Das Ehepaar Lüdecke. Bildrechte: Christian Lüdecke

Zeitlebens überblickte Hermann Lüdecke finanzielle Fragen nicht gänzlich, aber seine resolute Frau half ihm bei ihrer Bewältigung. Gleichwohl, so erinnert sich der Enkel, führten beide eine etwas distanzierte Ehe. Ebenfalls den Finanzen nicht zuträglich war das vom Großvater in der Nachkriegszeit betriebene Wanderkino, mit dem er durch die Gemeinden im Umland zog und etwa in Gaststätten Filme vorführte. Dennoch habe er sich ein kleines Wochenendhaus auf einem gesprengten Bunker leisten können.

Familie Hermann Lüdecke
Die Familie Lüdecke mit “zeittypischem” Wandschmuck. Bildrechte: Christian Lüdecke

Schon verwitwet, starb Hermann Lüdecke im Jahr 1967. Sein damals noch sehr junger Enkel behält ihn in positiver Erinnerung. Rückblickend erheitern ihn die gemeinsam unternommenen Sprengstofftransporte, seine Mithilfe beim Abfüllen von Schwarzpulver sowie die eigenmächtige Zweckentfremdung der Sprengwarntute des Großvaters.

Soldaten auf den Straßen von Pirmasens
Hermann Lüdecke als Dokumentarist bewegten Zeitgeschehens. Bildrechte: Christian Lüdecke

Dankbar verabschieden wir uns von Christian Lüdecke. Er hat es ermöglicht, Licht in die Vita seines Großvaters zu bringen, dessen bilddokumentarisches Werk für kommende, an der Pirmasenser Stadtgeschichte interessierte Generationen stets unentbehrlich sein wird.


Du willst mehr News aus Pirmasens? Abonniere jetzt kostenlos den Newsletter und erhalte die neusten Nachrichten aus der Stadt bequem ins Mail-Postfach. Einfach hier klicken: