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KZ Titelfoto

„KZ überlebt“ – Eine Ausstellung, die in Erinnerung bleibt

von Julia Schepp

Zeitlose Porträts voller Würde

Die neue Ausstellung in der Alten Post führt den Besucher in eine Welt der Stille, die dennoch lauter spricht als viele Worte. Der Regensburger Fotograf Stefan Hanke hat über zwanzig Jahre hinweg Überlebende des Holocaust porträtiert, in intensiven Begegnungen, die zu Bildern von zeitloser Kraft führten. Rund 60 der insgesamt 121 im Bildband zu findenden Fotografien sind nun in Pirmasens zu sehen. Es sind Gesichter, die Schmerz und Hoffnung zugleich tragen, Spuren des erlebten Grauens, aber auch die ungebrochene Kraft, weiterzuleben.

Schwarz-Weiß als künstlerische Haltung

Von Beginn an entschied sich Hanke, ausschließlich in Schwarz-Weiß zu arbeiten. Für ihn war dies mehr als eine ästhetische Wahl – es war eine Haltung. Farbe, so sagt er, lenke nur ab. Eine auffällige Krawatte oder ein bunter Rock hätten nichts mit der Botschaft zu tun, die er transportieren möchte. In der Reduktion auf Schwarz und Weiß sieht er nicht nur die Konzentration auf das Wesentliche, sondern auch einen Ausdruck von Zeitlosigkeit. In einer Welt, in der Bilderfluten meist in grellen Farben daherkommen, setzt er bewusst einen Kontrapunkt. Seine Porträts verweigern die schnelle Konsumierbarkeit, sie fordern den Betrachter heraus, sich einzulassen.

Fotograf Hanke (rechts) erzählt bei einem Rundgang u.a. Kulturdezernent Denis Clauer die Geschichten hinter den Portraits. Foto: Schepp

Begegnungen an Orten des Schreckens

Viele Aufnahmen entstanden an den Orten, an denen das Leid geschehen war. Für Hanke war es selbstverständlich, die Überlebenden zu fragen, wohin sie mit ihm gehen wollten – und auch zu respektieren, wenn jemand bestimmte Orte nicht betreten konnte. Eine Überlebende etwa hätte niemals das ehemalige Kommandantenhaus betreten können, weil ihr dort furchtbare Dinge widerfahren sind. Ein anderer Überlebender aber ging bereitwillig in die Baracken zurück, die zu seiner Vergangenheit gehörten. So entstand jedes Bild aus einer einzigartigen Situation, geprägt von Vertrauen und gegenseitigem Respekt.

Hanke erläutert das Konzept hinter dem Bild von Margot Kleinberger, die sich selbst im Spiegel betrachtet. Foto: Schepp

Besonders eindringlich ist die Geschichte von Shlomo Venezia, einem Überlebenden von Auschwitz-Birkenau, der als Mitglied des sogenannten Sonderkommandos unmittelbar an den Krematorien eingesetzt war. Er war in hohem Alter gesundheitlich stark eingeschränkt und konnte seine Wohnung nicht mehr verlassen. Das Porträt entstand daher in seinem Zuhause in einem Moment höchster Konzentration – ohne große Vorbereitung, ohne Wiederholung und auch ohne langes Gespräch. Hanke wusste, er hatte nur eine Chance, und dieser eine Augenblick musste die ganze Dimension von Venezias Leben und Überleben einfangen. Als Quelle für das schriftliche Portrait im Buch diente Venezias 2008 veröffentlichte Autobiografie.

Zu den vielen Porträts in der Ausstellung gehört auch das von Bogdan Bartnikowski. Er führte den Fotografen an jenen Ort im Lager Auschwitz-Birkenau, an dem sich eine erschütternde Szene seiner Kindheit abgespielt hatte. Ein Junge hatte ihn einst gebeten, er solle die kleine Schwester durch den Stacheldraht schieben – der Strom sei ausgeschaltet. Doch in dem Moment, als das Mädchen hindurchschlüpfte, schalteten die Wachen den Strom wieder ein. Das Kind starb im Draht. Hanke ließ sich von Bartnikowski genau diese Stelle zeigen und schuf dort ein Bild, das den Schmerz der Erinnerung sichtbar macht und die Unmenschlichkeit des Lageralltags auf eindringliche Weise in die Gegenwart holt.

Bogdan Bartnikowski im ehemaligen Männerlager des KZ Auschwitz-Birkenau im Abschnitt B II d. Er berichtet von dem grauenvollen Ende eines Kindes im elektrischen Zaun. Polen, Oświęcim, 2014. Foto: Stefan Hanke

Das Titelbild von Bildband und Begleitheft zeigt Kazimierz Piechowski, einen polnischen Pfadfinder, der durch eine der spektakulärsten Fluchten aus Auschwitz bekannt wurde. Am 20. Juni 1942 entkam er zusammen mit drei Mithäftlingen, indem sie ein Auto des Lagerkommandanten stahlen, sich in SS-Uniformen kleideten und mit Papieren aus dem Lager fuhren. Piechowski gab sich gegenüber den Wachposten als SS-Offizier aus – und die Täuschung gelang. Jahrzehnte später porträtierte Stefan Hanke ihn als einen Mann, der Mut, Entschlossenheit und Lebenswillen verkörpert. Dass gerade dieses Bild das Cover von Buch und Begleitheft ziert, ist folgerichtig: Es ist ein Sinnbild für die Möglichkeit, den Schrecken zu entkommen, und steht für die Hoffnung, die stärker ist als jede Mauer.

Kazimierz Piechowski steht vor der »Schwarzen Wand«, einer Mauer, die als Kugelfang auf dem Hof zwischen Block 10 und Block 11 diente, dem Lagergefängnis des ehemaligen KZ Auschwitz. Dort, auch »Bunker« oder »Todesblock« genannt, ermordete die SS sichtgeschützt Tausende Menschen. Polen, Oświęcim, 2013. Foto: Stefan Hanke

Die Vielfalt der Schicksale

Die Ausstellung macht deutlich, dass es keine Opferhierarchie geben darf. Juden bilden die größte Gruppe der Porträtierten, doch ebenso finden sich politische Häftlinge, Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene oder Menschen, die als „Asoziale“ verfolgt wurden. Hanke hat versucht, alle Gruppen sichtbar zu machen, die unter der NS-Diktatur litten. Nicht immer war dies möglich – Überlebende bestimmter Gruppen waren nicht mehr auffindbar. Doch das Panorama, das er geschaffen hat, ist breit und eindringlich.

Mehr als Bilder

Neben den Fotografien selbst lädt die Ausstellung dazu ein, eigene Gedanken zu hinterlassen. Eine „Echo-Wand“ im oberen Stockwerk sammelt die Stimmen der Besucher, QR-Codes führen zu weiteren Biografien von Pirmasenser Opfern, und ein Begleitheft bündelt die Informationen. So wird die Ausstellung mehr als eine Schau – sie wird zu einem Ort der aktiven Auseinandersetzung und des Dialogs.

Das Begleitheft zur Austellung. Foto: Schepp

Die „Gesichter der Erinnerung“ sind noch bis zum 9. November in der Alten Post zu sehen. Am letzten Ausstellungstag gibt es eine Abschlussführung von Hanke selbst, die Besucher noch einmal tiefer in die Geschichten hineinführt.

👉 Wer sich für die weiteren begleitenden Veranstaltungen interessiert, findet diese hier im Überblick.


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