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Leben, ohne Erwartungen erfüllen zu müssen
Die Wochenend-Kolumne von Psst! Pirmasenser Storys
Alte, große und blätterlose Bäume säumen den langgezogenen Teich in der Atzelbach. Eine dichte graue Wolkendecke drückt von oben, während leichter weißer Nebel über das Wasser wabert. Die Winter-Tristesse könnte erdrückend sein, wäre da nicht ein einzelner weißer Schwan, der ruhig und anmutig die Oberfläche des dunklen Wassers durchschneidet und der Szene den Charakter eines Ölgemäldes verleiht.
Ein barsches „määhhhhh“ zerreißt die Idylle dieser romantischen Szene und lässt mich herumfahren. Der Urheber dieser brachialen Lautäußerung steht mit seinen Artgenossen in wolligem Winterkleid auf der Wiese hinter mir und scheint mit der erlangten Aufmerksam zufrieden zu sein, denn nun bleibt er ruhig. Immer deutlicher nehme ich aus allen Ecken auch andere Tiere wahr. Watschelnde Laufenten kommen aus ihrem Haus am südwestlichen Ufer des Teichs. Von weiter oben höre ich die blechernen Pfiffe von Wellensittichen, während die Hühner ein Gackern von sich geben, was am Ende stimmlich immer nach oben geht und unmissverständlich wie eine Frage klingt. Damit kann ich mich identifizieren, denn auch ich stelle gerne viele Fragen. Heute zum Beispiel an Lucy Pfundstein, die den Lebenshof „Glückstier e.V.“ in der Atzelbach mitgegründet hat. Sie erzählt mir, dass viele Tiere bei ihr und ihrem Team landen, weil sie unüberlegt angeschafft wurden. Einleuchtend, wenn man bedenkt, dass laut statistischem Bundesamt in 43 Prozent der deutschen Haushalte mindestens ein Haustier lebt.
Wenn Menschen und Tiere zusammenleben, entsteht schnell eine Erwartungshaltung. Der Hund soll gehorsam und treu sein, das Pferd fleißig und gutmütig, das Kaninchen handzahm und kinderlieb. Wird das Tier für sportliche Zwecke genutzt, lässt das menschliche Ego die Erwartungen oft noch überproportionaler wachsen. Können Tiere diese Ansprüche nicht erfüllen, landen sie mitunter ruckzuck wieder auf dem freien Markt. In manchen Fällen ist dies auch absolut vertretbar. In manchen Fällen ist es sogar richtig, sich einzugestehen, dass eine optimale Versorgung im eigenen Umfeld nicht mehr gewährleistet werden kann und das Tier, so schwer es vielleicht auch fällt, ein besseres Zuhause verdient hat. Ein Kaninchen nimmt einen Umzug in ein großes Gehege mit passenden Artgenossen, Buddel-, Renn- und Versteckmöglichkeiten sowie Nager-gerechtem Futter mit Sicherheit gerne in Kauf, wenn es dadurch dem kleinen Einzelkäfig vor der Heizung im Kinderzimmer entgehen kann.
Der Punkt ist, dass viele Haustieranschaffungen impulsiv und uninformiert geschehen und so manchem Tier der Stress der Wieder- und Wieder-Vermittlung durch eine vorherige informierte Entscheidung erspart werden könnte. Doch ist die Idee des süßen Schmusekaninchens im Kinderzimmer einmal durch die Vorstellung strahlender Kinderaugen gefestigt worden, ist es natürlich verführerisch eine Expertenmeinung zu übergehen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit abraten würde. Die Lust am Konsum ist am Ende stärker, vor allem in der Weihnachtszeit, und die Ansprüche an den neuen Mitbewohner lassen nicht lange auf sich warten.
Die auf dem Pirmasenser Lebenshof Glückstier e.V. lebenden Tiere sind dieser Anspruchshaltung enthoben. Ganz unterschiedlich sind die Wege, die die Schafe, Ziegen, Hühner oder Meerschweinchen in die Atzelbach führten – aber eins ist gewiss: Dort finden sie Umstände, die es ihnen ermöglichen ihr arteigenes Verhalten auszuleben, ohne Erwartungen und bis ans Ende ihres Lebens.
Lisa McKenna
Lisa McKenna ist 1987 in Pirmasens geboren und hatte schon als Kind großes Interesse an Tieren und Natur. Nach dem Abitur am WG 2006 zog sie in die Niederlande, wo sie an der Landwirtschafts-Universität Wageningen Tierwissenschaften studierte. Nach der Bachelor-Arbeit zum Lernverhalten von Pferden, forschte sie für ihre Master-Arbeit unter anderem im Bereich Hunde- und Schweineverhalten. 2013 erhielt Lisa ein Stipendium an der Göttinger Georg-August-Universität, wo sie sich vertieft mit Tierwohlproblematiken in der Nutztierhaltung beschäftigte. Mit ihrer Promotion schloss sie 2018 ihre Studien ab und arbeitet seither als Agrar-Journalistin für mehrere Fach-Zeitschriften und Magazine in Deutschland und der Schweiz. Mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen lebt sie aktuell in Bruchweiler-Bärenbach und engagiert sich ehrenamtlich als Vorsitzende der BUND Kreisgruppe Südwestpfalz / Stadt Pirmasens. In ihrer Freizeit findet man Lisa auf den Wanderwegen im Pfälzerwald oder beim Bergsteigen in den Alpen.
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