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Zwischen Marmorträumen, Müllbergen und Massenentlassung
Die Wochenend-Kolumne von Psst! Pirmasenser Storys
Pirmasens, meine Stadt – du kannst es manchmal wirklich. Und manchmal… naja, du versuchst es zumindest. Es sind wieder diese Tage, an denen man sich nicht ganz sicher ist: Soll ich mich jetzt hinlegen, aufregen oder doch einfach still seufzen?
Fangen wir mit dem Positiven an. Denn ja, manchmal tut es gut, zu staunen. Im Innenhof der BBS funkelt sie in der Sonne: eine Liege. Eine Bank. Ein Möbelstück – aber was für eins! Weißer Carrara-Marmor, ergonomisch geschwungen, schwer wie die Geschichte, die sie trägt. 1,2 Tonnen geballte Stadtvergangenheit, kunstvoll zusammengesetzt aus den alten Pflastersteinen der Südlichen Hauptstraße. Die hat man vor Jahren rausgerissen, irgendwo gestapelt und fast vergessen. Und jetzt liegen Schüler, Lehrer oder Stadtverantwortliche darauf – und loben das Ganze als bequem. Und das auf Stein! Ich vermute fast, der Marmor war nicht das Härteste, was bei der Entstehung dieses Projekts im Weg lag.
Die Entstehungsgeschichte liest sich wie ein abendfüllender Heimatfilm mit einem Schuss „Sendung mit der Maus“: Idee, Umweg, Wein mit dem Gartenamtsleiter, ein Lehrer mit Begeisterung, ein Stadtmarketingleiter mit Inspiration aus der Partnerstadt Poissy, Schüler mit Akkuschrauber – und am Ende eine Liege, die man als „ästhetischen Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Zukunft“ bezeichnen darf, ohne rot zu werden.
Ich gebe zu: Ich liebe solche Projekte. Weil sie Mut machen. Weil sie zeigen, was entsteht, wenn Menschen einfach machen – statt nur zu jammern. Und weil sie zeigen, dass Kreativität nicht am Stadtsäckel scheitert. Es muss nicht immer Millionen kosten. Manchmal reichen eine Idee, etwas altes Pflaster und eine Stiftung, die sich für Kunst UND Gesellschaft interessiert – was beileibe nicht selbstverständlich ist.
Der bröckelnde Auto-Markt sei Schuld
Aber während auf der einen Seite der Stadt aus Pflaster Poesie wird, bröselt anderswo die Realität. Die FWB Kunststofftechnik schließt. 132 Beschäftigte, bald ohne Arbeitsplatz. Bis Ende 2026 ist Schluss – schrittweise, geplant, geordnet. Was hilft das den Betroffenen? Menschen, die 20, 30 Jahre dort und sonst noch nie woanders gearbeitet haben, sollen jetzt Bewerbungstrainings machen. Nicht aus Lust, sondern aus Not. Wer heute über Marmorliegen schreibt, muss morgen auch über Massenentlassungen berichten.
FWB – das war ein stabiler Arbeitgeber. Und jetzt? Ein weiteres Kapitel in der langen Liste der Pirmasenser „Wir-machen-zu“-Chronik. Der Markt, sagen sie, sei schuld. Die Automobilbranche schwächelt. Die Kosten explodieren. Der Mutterkonzern will nicht mehr. Tja, da kann man dann wohl nichts machen. Oder? Und werden nun noch weiter Firmen folgen? War das nur die Spitze des Eisberges? Oder zündet das versprochene Wirtschaftspaket der designierten, neuen Regierung aus Berlin letztendlich doch noch?
Vielleicht sollten wir anfangen, auch hier kreativ zu werden. Wenn wir es schaffen, aus alten Steinen Designermöbel zu machen – schaffen wir es dann nicht auch, aus altgedachten Wirtschaftsstrukturen neue Modelle zu entwickeln? Oder geht unsere Innovationskraft nur bis zur nächsten Bank?
Das leidige Thema der Container
Und dann wäre da noch das dritte Thema dieser Woche: der Müll. Genauer gesagt: der Müll rund um die Altkleidercontainer. Wer in Pirmasens unterwegs ist, kennt sie – diese kleinen Inseln der Verwahrlosung. Da steht der Container, brav angeschraubt. Und drumherum: Säcke, Kisten, kaputte Möbel, ein Kinderwagen ohne Räder und mindestens ein Sofakissen, das man nicht mal mehr dem Hund hinlegen würde. Es ist, wie Stadtrat Gerhard Hussong es so treffend sagte: „Es ekelt einen an.“
Was folgt, ist kommunalpolitisches Sudoku: Weniger Container? Zentraler Abgabeort? Haussammlung? Und wer zahlt den Dreck weg? Vielleicht die Grundstückseigentümer? Oder doch die Betreiber? Die Stadt? Der liebe Gott? Antworten gibt’s bisher keine, aber einen Hauptausschuss, der sich jetzt des Themas annimmt. Immerhin.
Was bleibt, ist ein Stadtbild im Zwiespalt: Auf der einen Seite High-End-Möbel aus historischem Material, auf der anderen die allzu gegenwärtige Alltagsverrohung. Hier die kreative Rückbesinnung auf Werte, dort die schleichende Kapitulation vor der Vermüllung. Und mittendrin Bürgerinnen und Bürger, die sich fragen, wohin die Reise geht. Wo liegt der Fokus? Bei der Gestaltung? Beim Erhalt? Beim Überleben?
Pirmasens, du bist widersprüchlich. Und vielleicht gerade deshalb so faszinierend. Du bist das Kind, das im Sandkasten Marmorburgen baut – und sich gleichzeitig den Löffel ins Auge rammt. Du schaffst es, aus altem Pflaster Hoffnung zu formen – und verlierst gleichzeitig das, was Menschen brauchen, um hier zu bleiben: Arbeit, Ordnung, eine Perspektive.
Ich will dich nicht schlechtreden, Pirmasens. Ich bin ja bei dir geblieben, trotz allem. Aber ich wünsche mir, dass du nicht nur auf Liegen ruhst – sondern auch aufstehst. Dass du den Schwung aus der Schülerfirma auch ins Rathaus, in die Wirtschaft, auf die Straße trägst. Dass du zeigst, was geht, wenn man will.
Denn ganz ehrlich: Die Marmorliege ist schön. Aber sie darf nicht das Bequemste sein, was wir gerade haben.
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